Was genau ist TAKTISCHER NAHKAMPF, im Gegensatz zu "Kampfsport" oder "Selbstverteidigung"?
Viele Anbieter im Bereich "Selbstverteidigung" haben schon lange erkannt, dass ein sportlich oder traditionell orientierter "Kampfsport" für die reale Situation einer Attacke auf der Strasse nicht oder nicht optimal geeignet ist. Schon seit sehr vielen Jahren trainieren Spezialeinheiten von Militär und Polizei kein traditionelles Kampftraining mehr, sondern sogenanntes "taktisches Training".
Durch die dramatisch verschlechtere Sicherheitslage auf den Strassen Westeuropas und der USA beschäftigen sich mehr und mehr Menschen mit realistischen Nahkampf, der für die Wirklichkeit auf den Strassen geeignet ist.
Mit "Situation auf der Strasse" ist, neben Strassenüberfällen durch Kriminelle, u.a. auch eine Situation für Einsatzkräfte, Sicherheitsmitarbeiter und für Sonderkommandos aus Polizei und Militär gemeint. Man kann noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass auch Methoden der Untergrundkämpfer, Guerillakämpfer und Geheimagenten dazu gerechnet werden sollten. Dies ist in unseren Augen der wirkliche taktische Nahkampf.
Was genau ist denn "taktischer Nahkampf"? Um diesen Titel wirklich zu recht zu tragen, muss es sich um Nahkampftaktiken handeln, wie sie im Kampf um Leben und Tod benötigt werden. Der Ursprung liegt in militärischen und polizeilichen Bereichen. "Taktische Situationen" sind nicht sportliche Wettkämpfe oder normale Prügeleien auf der Strasse. Taktische Situationen haben ein Element, welches man mit "SURVIVAL-KAMPF" - also Kampf um das Überleben - bezeichnen sollte. Taktischer Nahkampf sind solche Taktiken, die vor sehr langer Zeit im Zusammenhang für den Einsatz und dem Überlebenskampf von Soldaten, Militär, Eliteeinheiten usw. entwickelt wurden.
"Taktischer Nahkampf" ist z.B. NICHT ein Training des Karate oder anderem Kampfsport, bei dem man sich lediglich militärische Kleidung anzieht, oder bei dem die gleichen sportlich-akrobatischen "Techniken" trainiert werden, wie sonst im Kampfsport. Der Begriff wird heute überall "entlehnt", und plötzlich gibt es taktisches Boxen, taktisches Karate usw. Dies aber - im strengen Sinne des wirklichen taktischen Kampfs - hat mit taktischem Nahkampf nichts zu tun.
Es ist sehr bedeutsam zu verstehen, dass soldatische und polizeiliche Taktik im Zusammenhang mit "Überlebenskampf" nahezu ausnahmslos mit der Nutzung von WAFFEN in Verbindung steht. Ein ironischer Spruch sagt: "Es ist schwer, für taktische Einsätze auf dem Schlachtfeld, Gegner zu finden, die dumm genug sind, unbewaffnet zu erscheinen". Soldaten sind BEWAFFNET, ihre Gegner ebenfalls. Man trifft sich nicht für "Prügeleien", sondern es handelt sich tatsächlich um SURVIVAL. Das ist - angesichts der hunderten Messerattacken nahezu täglich in Europa oder den USA z.B. - auch der neue traurige Standard auf unseren Strassen, den unsere Politik zugelassen hat.
Nur für die oben genannten militärischen und polizeilichen Einsatz- und Überlebenssituationen sollte man den Begriff "taktisch" benutzen, und NUR DAFÜR, denn alles Andere ist NICHT taktisch, sondern sportlich oder traditionell orientiert.
Taktische Einsätze, oder Survivalsituationen aller möglichen Art, haben zudem noch weitere Komponenten: man trägt Ausrüstung, Rucksack, Schutzwesten, man ist evtl. verletzt, man muss Dritten helfen usw. Solche Situationen machen sportliche, akrobatische Techniken nahezu nutzlos. Auch dies muss mitbedacht werden. Ein wirklich TAKTISCHER NAHKAMPF muss genau für SOLCHE Situationen geeignet sein.
Um es vorweg zusagen: ich vergröbere die Darstellung in diesem Text und gehe nicht auf sämtliche kleinen Details ein. Ja, es gibt durchaus Ausnahmen, aber diese Ausnahmen liegen meist immer im individuellen Training mancher Anbieter oder Praktizierenden, und nicht im jeweiligen "System".
Es wäre aber auch ein grosser Fehler und eine gefährliche Selbsttäuschung zu glauben, dass man zwar in der Kampfsportschule traditionell oder sportlich trainiert und kämpft, aber dass man dann auf der Strasse und im taktischen Einsatz bei Bedarf, in Notsituationen, dann anders reagieren kann und würde.
Dies ist ganz einfach falsch und widerspricht der Praxis. Man reagiert so, wie man trainiert. Das ist ein bekannter Grundsatz.
Wer akrobatisch, sportlich oder traditionell trainiert, wird in Notsituationen auch gemäss des Trainings reagieren. Unter Stress und in Lebensgefahr nutzt das Gehirn nicht mehr Überlegung, sondern "angelernte Instinkte" - oder besser gesagt: die eingeübten Reaktionen. Eine über Jahre im Training "eingeschleifte Reaktion" wird zur spontanen Reaktion. Dies sollte man sich bewusst machen, sonst bringt man sich ggf. selbst in grosse Gefahr.
Ich weiss, dass meine Ausführungen von den "Fanatikern" unter den Anhängern mancher Systeme als Kritik oder "Beleidigung" empfunden werden. Ich verstehe das auch ein Stück weit, ich war in jungen Jahren auch so eingestellt.
Man identifiziert sich 100% mit einem System, hat sich überzeugen lassen, zählt auf das Wort eines "Meisters", und ist dann irgendwann an eine bestimmte Denkweise gewöhnt und auch davon überzeugt.
Es ist aber unklug, den Pfad der Weisheit zu verlassen... und es hilft ungemein, wenn man SELBST eigene Überlegungen anstellt. Sich entgegen der Fakten von Etwas zu überzeugen, ist nicht vernünftig.
Um bestimmte Ziele im Leben zu erreichen, muss man DAZULERNEN.
Die asiatische Weisheit "Sei weich wie das Wasser, dann kannst du Felsen zerbrechen" ist zutreffend. Wasser ist flexibel und passt sich an, Wasser ist beständig. Nur wer sich anpasst und wer flexibel ist, also wer DAZULERNEN will, kann sich verbessern.
Traditionelle und sportliche Systeme haben ihre volle Berechtigung, sie sind aber nicht für taktische Zwecke entwickelt worden. Das ist ein simpler Fakt. Es geht im taktischen Zusammenhang um das Überleben von Situationen, die mit KRIEG im weitesten Sinne zu tun haben, taktischer Nahkampf ist ein Training der Krieger.
Darum ist "taktisches Grappling" oder "taktisches Karate" einfach eine Irreführung. Wer einen taktischen Nahkampf benötigt und wünscht, muss alle anderen Zielsetzungen vergessen. Komplexe oder akrobatische Techniken sind im taktischen Kontext absolut fehl am Platze. Auch der Begriff "taktisches Krav Maga" wird oft missbraucht, denn Krav Maga war ohnehin immer taktisch orientiert; darum gibt es kein "untaktisches Krav Maga". Allerdings ist ein versportlichtes Krav Maga, welches mehr auf Boxen oder Kickboxen basiert, auch nicht mehr "taktisch"...
Ein Schlagwort - "taktisch" - wird sehr oft für kommerzielle Zwecke ausgenutzt, ohne das ein wirkliches taktisches Wissen vorhanden ist. Nur allein das Nutzen dieses Schlagworts verwandelt Grappling nicht in echtes taktisches Training. Auf einem Schlachtfeld etwa, wer wollte sich mit einem Gegner auf dem Boden wälzen, während dessen Kameraden bewaffnet daneben stehen? Wie würde das wohl enden für einen Grappler?
Oder nehmen wir das westliche Boxen. Boxen wird heute in ganz viele Systeme integriert, u.a. Krav Maga oder auch Kickboxen. Das Boxen ist aber KEIN gutes taktisches Nahkampfmittel... natürlich können gute Boxer hart schlagen und sportliche Kämpfe gewinnen, keine Frage. Aber man sollte die Realität zur Kenntnis nehmen.
Boxen war zunächst NICHT als unbewaffnete Technik entwickelt worden. Boxer hatten Lederriemen um die Hände gebunden, an denen Steine und Knochensplitter, später Nägel usw. befestigt waren. Dies waren TÖDLICH WAFFEN, zudem waren zugleich die Hände geschützt. DAS hätte man als taktische Technik ansehen können, und tatsächlich wurden so auch Soldaten ausgebildet in der Antike - das Training von damals ist aber absolut NICHT das Training des sportlichen Boxens von heute gewesen!
Daraus wurde dann DER SPORT "Boxen" entwickelt, und Handschuhe mit nach und nach stärkerer Polsterung benutzt. Die Polsterung hat 2 Zwecke: Schutz des Gegners vor Verletzung, und Schutz der EIGENEN HÄNDE vor den sonst unvermeidlichen Knochenbrüchen. Wir Alle kennen die berühmten Brüche der Handknochen, der Finger usw. Alle Boxer würden sich irgendwann und auch öfters die Hände brechen und deformieren (und so schwächen), wenn sie keine Handschuhe benutzten.
In der Praxis bedeutet das: Boxstösse auf der Strasse und im taktischen Einsatz bringen uns in die Gefahr, und zu verletzen, und dies kann schwerwiegende Folgen haben. Es gibt noch weitere Argumente gegen Boxen im taktischen Kontext, aber ich gehe hier jetzt nicht auf alle Details ein. Darum - dies ist die logische Folge daraus - sind Boxtechniken im Sport prima, aber im taktischen Einsatz nicht so sehr. WARUM sollte man sich einer Gefahr aussetzen (Bruch der Handknochen), wenn dies nicht nötig ist? Es gibt andere Techniken, die deutlich weniger Verletzungsgefahr erzeugen, die aber ebenso wirksam sind. Naheliegend ist darum, solche alternativen Techniken im taktischen Kampf zu nutzen.
Taktischer Nahkampf ist ÜBERLEBENSKAMPF, und da möchte sich NIEMAND die Hand brechen, das wäre sehr unklug - im Zweifel und auch generell müssen wir im Strassenkampf und im taktischen Einsatz von einer Leben-oder-Tod-Situation ausgehen. Dies ist in traditionellen und sportlichen Kämpfen völlig anders. Im Dojo geht es nicht um Leben und Tod, da werden sportliche Regeln angewendet, und es besteht nun einmal KEINE taktische Situation. Auch wenn es unvernünftig ist, aber in sportlichen Kämpfen kann man Verletzungen in Kauf nehmen, denn der Gegner hört dann auf zu kämpfen, der Kampf endet. Auf der Strasse und im taktischen Einsatz aber kann dies den Tod bedeuten...
Unter "traditionell" verstehe ich eine Kampfkunst, die auf Perfektion setzt, auf "Eleganz", auf das auf lange Jahre Training angelegte Erlernen einer sehr komplexen Methodik mit zahlreichen Techniken, die sich teilweise nur in Nuancen unterscheiden, und die keinen wirklich praktischen Nutzen haben. Traditionelle Systeme sind oft stark überladen mit Techniken und Übungen, die nur einen Zweck für sich selbst haben, aber keinen wirklichen praktischen Grund. Zudem entwickeln sich die allermeisten Systeme irgendwann in Richtung "Sport" - im Stile von Kickboxen usw. Und dann stellt man fest, dass die Praktizierenden plötzlich fast keine traditionellen Techniken mehr nutzen, weil es im Wettkampf nicht funktioniert.
Vielfach wird das Training auch ganz bewusst in die Länge gezogen, für Ziele der "Charakterschulung" usw. Dies hat durchaus seinen Platz und Sinn, ist eine ausgezeichnete Körperertüchtigung, und Experten solcher Systeme sind auch durchaus sehr gute Kämpfer, aber eben im Kontext dieser speziellen Regeln und Umstände. Es ist weit entfernt von taktischem Nahkampf.
Sportliche Systeme, wie Grappling, MMA, Kickboxen - früher bekannt als Full Contact - sind Kampfsport, aber nicht Kriegskunst (martial arts), auch wenn der Begriff martial arts oft, aber eben fälschlich, benutzt wird. Dieses Training ist KEIN "martial art", weil man es für Kriegssituationen nicht benutzen kann. Ich denke, dessen wir uns auch Alle bewusst. Diese sportlichen Systeme sind athletisch und teilweise sehr akrobatisch (dies mag aber auch traditionelle Systeme betreffen), und setzen eher auf Ausdauer und Kraft, auf Sieg im Rahmen festgesetzter sportlicher Regeln.
Dabei wird auch die Kampfzeit oft im Voraus vorgegeben, und Kämpfe werden auch ganz bewusst in die Länge gezogen, etwa bei den Wettkämpfen des MMA (Menschen bezahlen Eintritt und wollen nicht nach 5 Sekunden Kampf wieder nach Hause gehen, darüber wären auch die Sponsoren und Fernsehsender nicht glücklich...). Sowohl traditionelle Systeme, wie auch sportliche, verbieten in ihren Zweikämpfen und Wettkämpfen in aller Regel die Nutzung gefährlicher Techniken, einfach zum Schutz der Teilnehmer. Dies ist für diese Zwecke auch sehr sinnvoll. Insgesamt aber - und dies ist NICHT als Kritik an diesen Systemen gemeint, sondern einfach eine objektive Feststellung - bedeutet dies dann nun mal, dass traditionelle und sportliche Systeme nicht auf die Realität im taktischen Einsatz und dem wahren Strassenkampf ausgelegt sind, sondern jeweils nur für ihre eigenen Regeln und Umstände.
Selbst wenn Wettkämpfe dann brutal und ohne Limitierung durchgeführt wird, ist es dennoch kein taktischer Nahkampf, sondern nur brutale Schlägerei. Taktisch bedeutet, gemäss des Survivalgrundsatzes, dass man ÜBERLEBT, und nicht nach dem Kampf ins Krankenhaus muss... In aller Regel widerstreben solche Massgaben dem wahren taktischen Kampf um nahezu 100%...
Karate, Judo, Grappling, MMA, und generell (wie gesagt Ausnahmen mag es geben) alle sportlichen und traditionellen Künste - sei es aus Asien oder aus anderen Regionen - sind, so wie sie in der Regel angeboten werden, nicht geeignet für solche taktischen Zwecke.